Im Rahmen der SPÖ-Bildungskonferenz wurde Marion C. Winter,
Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft in Bayern und stellvertretende
Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildung des Bundes, als Ehrengast zur
Teilnahme an einer Podiumsdiskussion eingeladen. Dabei konnte sie den Genossen in Österreich einen Einblick in die
Bildungspolitik in Deutschland gewähren. Und zugleich Eindrücke aus dem
benachbarten Österreich mit nach Hause nehmen.
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Podiumsdiskussion auf der Bundesbildungskonferenz der SPÖ in Wien |
Anders als in Österreich obliegt es in Deutschland jedem
Bundesland, Standards in der Schulpolitik zu setzen. In einem vereinten Europa,
so Winter, schaffen wir es nicht einmal in unserem eigenen Land ein
einheitliches System einzuführen. Eine Tatsache, welche für die österreichischen Nachbarn schwer
nachvollziehbar ist. Erklärungsbedarf bestand auch im Hinblick auf die in
Deutschland eingeführte Herdprämie. Diese sei, so die Meinung eines Teilnehmers,
absolut kontraproduktiv. Durch sie besuchen gerade diejenigen Kinder, welche es
besonders nötig hätten, nicht die Einrichtungen. Worauf Winter ausdrücklich
darauf hinwies, dass sich hier eine Idee der CSU durchgesetzt hätte. Die SPD in
Deutschland sei gegen das Betreuungsgeld gewesen.
Hier als auch dort besteht hingegen großer Bedarf an
Veränderungen im Hinblick auf die
Chancengerechtigkeit bei der Bildung. In beiden Ländern hängt Bildung
immer noch stark vom sozialen Milieu der Herkunft ab. Darüber hinaus bringen
Arbeiterkinder, laut Karl-Heinz Gruber, Professor em. am Institut für
Bildungswissenschaften der Universität Wien,
einen angeborenen Minderwertigkeitskomplex mit, den die Schule
überwinden muss. Aber auch bei der Umsetzung der Inklusion ist in beiden
Ländern noch viel zu leisten. Diskutiert wird darüber hinaus auch in Österreich
über die Schulqualität und die Durchlässigkeit im Schulsystem. Das System der
frühen Auslese bestärkt laut Gruber sowohl den Bonus als auch den Malus, den
die Kinder in die Schule mitbringen. Der zu einem Referat geladene
Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an
der Universität Konrad Paul Liessmann und Autor des Buches
„Geisterstunde“ sieht die Schule als Zuteilungsapparat von Lebenschancen
und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Bildung ein Grundrecht ist. Es
handelt sich hierbei um kein Privileg, sondern ein Menschenrecht.
Wie in Deutschland so auch in Österreich wird auf eine
vermehrte Einführung von guten Ganztagesschulen gedrängt. Über die Art und
Weise wie so eine Schule aussehen könnte bestand ebenfalls Einigkeit. In einer
guten Ganztagesschule haben die Kinder, sobald sie das Schulgelände verlassen
haben, mit allen täglichen schulischen
Vorbereitungen und Aufgaben abgeschlossen. Womit gewährleistet ist, dass die
freie Zeit auch für Freizeit genutzt und das Familienleben entspannt und
unbelastet genossen werden kann. Einig ist man sich auch in der Bedeutung der
Bildung im Hinblick auf die Vermittlung von sozialer Kompetenz und Bildung der
Persönlichkeit.
Im Vorfeld zur Konferenz fand im Karl-Renner-Institut eine
schulpolitische Tagung zum Thema „Bildung – Chancen – Gerechtigkeit – Werte,
Ziele und Zukunftsperspektiven sozialdemokratischer Schulpolitik“ statt. Hierzu
war Peter Höllrigl, Schulamtsleiter der Provinz Bozen, Südtirol
eingeladen. In Italien, so konnte er
berichten, gibt es diese Diskussionen
schon lange nicht mehr. Dort ist die Gesamtschule bereits seit 1962
geprobter Alltag. Ein Schulsystem über einen so langen Zeitraum zu beobachten
und zu sehen, dass es funktioniert müsste als Beispiel ausreichen, so seine
Aussage zu den Diskussionen in Österreich und Deutschland. In Italien
unterrichtet man seit Jahrzehnten jahrgangsgemischt, warum sollte das nicht
auch anderswo funktionieren. Es gibt eine gemeinsame Beschulung bis zur achten
Klasse, Inklusion ist seit 1977 eine Selbstverständlichkeit. Umso
unverständlicher wird es, wenn man bei
den Verbesserungsversuchen an den Schulen nicht in das nahe gelegene
Norditalien schaut.
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Marion C. Winter (li.) mit der Bundesministerin für Frauen und Bildung der SPÖ |
Die ebenfalls anwesende Vorsitzende der Aktion kritischer
SchülerInnen, Christina Götschhofer,
beklagte die mangelhafte Einbeziehung der Schüler und Schülerinnen.
Ihrer Meinung nach würden diejenigen, die es in erster Linie betrifft, zu wenig
zu Rate gezogen. In ihrer aktuellen Erscheinung sieht sie die Schule als gutes
Training für das Kurzzeitgedächtnis und stellt die Frage: „Was ist das für ein
System in dem man in die Schule geht um für Noten und nicht um fürs Leben zu
lernen“. Sie wünscht sich in diesem Zusammenhang mehr Vertrauen in die Schüler.
Abschließend wurde eine überwiegende Übereinstimmung der
Probleme in der Bildungspolitik in Deutschland und Österreich und die
Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform in beiden Ländern festgestellt.
Zukünftig sollten die Kontakte zwischen der Bildungsorganisation der SPÖ und
der Arbeitsgemeinschaft für Bildung der SPD weiter ausgebaut werden, um sich
gegenseitig mit Anregungen zu unterstützen.