Donnerstag, 2. November 2017

Der Zinn-Meister vom Ammersee





Kugeln mit perfekten Kurven

Gunnar Schweizer aus Dießen gießt den filigranen Weihnachtsschmuck als weltweit letzter mit der Hand

Erst die perfekten Rundungen machen echte Schönheit aus. Denn die bis zu 20 frisch gegossenen, filigranen Teile einer Weihnachtskugel in spe müssen einzeln gebogen und zusammengelötet werden. „Nur wenn die Legierung des Zinns stimmt, klappt das. Ansonsten brechen die Teile auseinander“ sagt Gunnar Schweizer, der mit der Zinngießerei Babette Schweizer in Dießen am Ammersee die wohl weltweit letzte ihrer Art betreibt. Seine von Hand gegossenen Christbaumkugeln zählen zur Königs-Disziplin des Handwerks und zierten sogar schon die Weihnachtsbäume des bayerischen Adels. Und das ist ausschließlich dem Geschäftssinn seiner Urahnen zu verdanken, die vor über 150 Jahren die zinnernen Zeichen der Zeit erkannten.

„Anfang des 20. Jahrhunderts verbrachten die Erzieher der königlichen Prinzen ihre Sommerfrische gerne am Ammersee und freundeten sich mit meinen Vorfahren an“, erzählt Gunnar Schweizer aus der von Generation zu Generation überlieferten Firmen- und Familiengeschichte seiner Gießerei, die 1796 gegründet wurde und die sich seit 1798 in dem historischen Haus an der Dießener Herrenstraße befindet. Der Brauch, an Weihnachten Tannenbäume aufzustellen und diese mit Kugeln zu schmücken, hielt zu jener Zeit von Norden her zaghaft Einzug in die höfische Gesellschaft und brachte die Schweizers auf eine Idee: Christbaum-Kugeln aus Zinn mussten her. „Formen waren genug vorhanden, weil wir ja schon welche als filigrane Halbkugeln für Hausaltäre und auch als Theaterschmuck gossen“, sagt Schweizer. Gesagt, getan. Und so gingen 1850 die ersten Zinn-Kugeln in manuelle Produktion, die dann gleich einen herrschaftlichen Baum krönten und noch heute zu den Bestsellern der Schweizers zählen.

Ob Brasilien, Japan oder die USA – die runde Rarität ziert die Weihnachtsbäume auf der ganzen Welt. Schon oft wurde versucht, das Meisterstück, das bis zu 150 Euro pro Stück kostet, maschinell zu kopieren. Vergeblich. „Die Qualität unserer Kugeln lässt sich nur durch Handarbeit erreichen“, weiß Schweizer zu berichten. Je nachdem wie filigran das Stück werden soll, wählt er die Konsistenz des Zinns. „Dabei verlasse ich mich auf mein Gefühl und natürlich auf meine Erfahrung“, verrät der Zinn-Meister, der in seiner kleinen Werkstatt über 3000 Formen hortet. Viele davon sind uralt oder gehen auf eine seiner Tanten zurück, die Bildhauerin war und zahlreiche Vorlagen schuf.

Weil die Schweizers ihre Familiengeschichte in Ehre halten, ist in dem großen Haus noch vieles wie im 18. Jahrhundert, als Urgroßmutter Babette den Betrieb leitete, der seitdem ihren Namen trägt. Die Türen, der Boden, die Treppe –  „alles noch original“, sagt Schweizer. Und auch die Produktionsweise hat sich nicht geändert. „Nur der Lötkolben wird mittlerweile nicht mehr mit Peißenberger Braunkohle, sondern aus der Steckdose erhitzt“, erklärt er.

Text und Bild: gwt Starnberg GmbH