Wie sagte schon Georg von Vollmar (1850-1922), erster
Vorsitzender der bayerischen SPD: „Es kann doch nicht jeder Mensch ein Preuße
sein“.
Ja, nee ist klar. Die Bayern sind gar keine Deutschen,
sondern verhinderte Italiener und umgekehrt. Pasd scho. Je heißer die Sonne
tagsüber auf den Denkapparat brennt umso drastischer werden die Aussetzer am
Abend. Aber so abwegig ist der Gedanke gar nicht. Der Beziehung zwischen Bayern
und Italien widmete sich 2010 sogar die Bayerische Landesausstellung.
Was tat sich denn im Bayernland, als es noch gar keine
Bayern gab. Nun 8000 vor Christus gab die Eiszeit das Gebiet für die
umherziehenden Völker frei, 4000 Jahre später begann man mit der Besiedelung.
Diese Ur-Bayern von Kelten schließlich bewiesen schon damals die typisch
bayerische Fähigkeit, das was nicht zu ändern ist, geduldig über sich ergehen
zu lassen. Und mit allem Neuem und Fremden fertig zu werden, auch wenn es
ungefragt über sie hereinbricht.
Ausrotten lassen sich die Bayern ohnehin nicht und so
vermischte man sich im Zuge der Romanisierung mit den um 15 v. Chr.
einfallenden Römern. Fast ein halbes Jahrtausend hatten sie Zeit Einfluss und
Charaktermerkmale anzunehmen. Um 900 reichte Bayern dann sogar bis an die
Adria, wie ewig Gestrige gerne betonen. Und erst unter den Karolingern, Luitpoldingern, Sachsen und Welfen machte
sich eine Tradition des vermeintlich rechten Glaubens einhergehend mit dem Misstrauen
allem Neuen gegenüber breit.
Italienische Künstler sorgten dafür, dass sich die Italiener
in Bayern und die Bayern in Norditalien fast wie zu Hause fühlen. Passau
bezeichnet man als das Venedig des Nordens, München als die nördlichste Stadt
Italiens. Der bayerische Löwe sieht dem venezianischen verblüffend ähnlich und
um 1700 kreiste sogar die „Buccentauro“ auf dem Starnberger See, ein Schiff
prächtiger als sein venezianisches Vorbild.
Ist es da ein Wunder, wenn sich der Bayer nicht als
Deutscher fühlt. Eben weil es uns auch an preußischen Obrigkeitshörigkeit
fehlt. Zwar möchte man angesichts unserer Treue zur Regierung etwas anderes vermuten.
Aber das ist eine ganz symptomatische Art von Bewunderung. Es handelt sich
dabei vielmehr um das bekannte „Hund sans scho“. Eine Art Anerkennung für
findiges Handeln, aber nicht etwa weil es dem Gesetz entspräche. Sondern ganz
im Gegenteil. Eben gerade weil es geschickt bestehende Gesetze umgeht. Die
Italiener stehen uns da in nichts nach.
Folgendes Beispiel zeigt deutlich die Abweichung in der
Staatsauffassung zwischen München und Berlin. Das bayerische Verhältnis zur Obrigkeit war immer
schon ein freundschaftliches, weniger ein unterwürfiges. Während im November 1918 auf der
Theresienwiese in München die Revolution ausbrach, spazierte der letzte
bayerische König Ludwig III., liebevoll auch „Millibuberl“ genannt, nichtsahnend
im Englischen Garten herum. Worauf ihm ein Untertan wohlwollend zurief: „Majestät,
gengans hoam sonst passiert eana was“.
Die italienische „Freunderlwirtschaft“ hat ihr Synonym in der
bayerischen „Spezlwirtschaft“ (abgeleitet aus dem lateinischen Wort species) und
gipfelte 1993 im Bestechungsskandal um den bayerischen Ministerpräsidenten Max
Streibl in der so genannten Amigo-Affäre
- abgeleitet aus dem italienischen Wort Amigo für Freund. Bayern ist das
älteste Bundesland und darüber hinaus ein Freistaat. Und die Italiener – tja, die
haben ja sowieso auch ihren Staat im Staat.
Einzig und allein die Hierarchie der katholischen Kirche
besitzt eine unausgesprochene Allmacht. Römisches Christentum war von Anfang an
Reichsreligion in Bayern, auch wenn es bis heute noch nicht ganz gelungen ist
gegen den vorherrschenden heidnischen Aberglauben anzugehen. In Bayern hat
jedes Dorf seine Kirche und sein Wirtshaus, in Italien ist das nicht anders.
Eine italienische Piazza oder der Odeonsplatz in München? |
Wahrlich - der Genuss von Wein oder Bier unterscheidet uns.
Wobei dazu zu sagen ist, dass die Bayern ursprünglich auch mehr dem Wein
zugeneigt waren. Es handelt sich hier wiederum um eine aufgezwungene Maßnahme,
die wir ein weiteres Mal geduldig über uns haben ergehen lassen. Schlecht ist
das Bier ja auch nicht. So beschreibt Johannes Aventinus in seiner Bayerischen
Chronik 1566 die Sitten der Bayern folgendermaßen: „er ist frei, dient seinem Herrn,
der sonst keine Gewalt über ihn hat, tut was er will, trinkt Wein und läuft
gerne wallfahren“.
In Italien fuchtelt man ständig mit den Händen. Und wenn man
genau hinschaut machen wir Bayern das auch. Beim Reden, beim Schuhplatteln,
beim Goaßlschnalzn und sogar beim Maßkrugstemmen. Hand aufs Herz – erkennen wir
da nicht ganz eindeutig die Seelenverwandtschaft zwischen den Südländern und
den Süddeutschen.
Wahre Freunde kann niemand trennen, nicht einmal die Alpen |
Und außerdem – jedes Jahr – wenn die Preußen weg sind, dann
fällt eine Art bayerische Invasion am Mittelmeer ein. Die Adriaküste wird von
den Bayern annektiert. Was sich im Verlauf weniger Wochen während des
Oktoberfestes umkehrt und gleichzeitig beweist, dass die Italiener nicht minder
gerne Bier trinken wie die Bayern.
Und noch ein Merkmal haben wir gemeinsam. Es ist dieses was
uns gerne den Ruf als träge einbringt, das va bene oder wird scho werdn. Dieser
Hauch von Desorientiertheit und Ziellosigkeit. Die königlich bayerische
Gemütlichkeit als Pendant zum italienischen Lifestyle des Genießens immer und
überall.
Wer jetzt allerdings auf die Idee kommen mag, dieses
Sammelsurium entstünde aus dem Wunsch der Gründung einer Alpenrepublik aus
Altbayern, Österreich, Italien und der Schweiz hat weit gefehlt. Es ist
vielmehr der verzweifelte Versuch einer Erklärung, weshalb der Bayer manchmal
ganz was anderes meint als der werte Preuße versteht. Und die Frage nach der
Identität mit der abschließenden Kernaussage: Mia san halt mia.