Moderator der hochkarätigen Veranstaltung in Passau zum Thema „Datenschutz in Europa“ war Christian Flisek, MdB und Mitglied des NSA-Untersuchungsausschusses, Im Mittelpunkt stand die Frage: „Ist es schon zu spät, unsere Daten zu schützen. Und wenn nein, was ist zu tun?“. Flisek, MdB, war kürzlich einige Tage im Silicon Valley und ist Mitglied im Untersuchungsausschuss NSA, der im Deutschen Bundestag aus acht Abgeordneten gegründet wurde. Er soll Ausmaß und Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären. Flisek ist somit bestens mit den Ausmaßen der Überwachung und Kontrolle, die die Datenspeicherung mittlerweile angenommen hat vertraut.
Zur Einführung erklärte er, Datenschutz sei eines der am meisten unterschätzten Themen, eben weil es sehr abstrakt ist. Er persönlich sei erstmals in den 90er Jahren mit der Thematik konfrontiert worden, als er nach einer Buchbestellung im Online-Shop mit Werbung überhäuft wurde. Als Jurist war ihm die Auskunftspflicht der Organisationen, woher die Daten stammen, bewusst. Professionelle Datenhändler gibt es also schon lange, aber nicht in dem Ausmaß wie heute. Aktuell werden Daten zu einer immer wichtigeren Handelsware. Was den meisten Benutzern allerdings nicht bewusst ist: „Wir sind nicht die Kunden, wir sind die Ware“. Berechnet man den hohen Marktwert von Facebook mit dem Maß der User, so verteilt sich der Wert auf 140 Dollar pro Kopf. Obwohl wir mittlerweile wissen, dass unsere Daten sogar Geheimdiensten weitergegeben werden, ist Resignation nicht der richtige Weg. Wir müssen uns eine weltweite Akzeptanz des Datenschutzes als Ziel setzen und ihn allen voran in Europa neu gestalten.
Während ihres Impulsreferats definierte Tatjana Halm, Referatsleiterin der Verbraucherzentrale Bayern, die digitale Welt als Fluch und Segen gleichermaßen. Beginnend mit der Frage, ob wir diese umfassende Kontrolle überhaupt wollen, ob wir es zulassen wollen komplett durch gescannt zu werden? Google zum Beispiel hat bekanntlich seine Algorithmen exakt auf uns zugeschnitten erstellt. Der Öffentlichkeit muss also bewusst sein, dass Google jedem einzelnen eine eingeschränkte Auswahl anzeigt und uns sagt was uns gefallen könnte. In gewissem Sinne werden wir dadurch unserer Entscheidungsfreiheit beraubt. Diese uns dargebotenen Daten sind provisionsgesteuert und wurden vorausgewertet. Sie zeigen uns keineswegs die Angebote, die für uns am Geeignetsten ist. Denkt man daran nicht, verliert der Verbraucher schleichend seine Bürgerrechte und den Verbraucherschutz. Mit dem Wissen, dass wir in unseren Entscheidungen beeinflusst sind, sollten wir die uns angebotenen vermeintlich guten Dienste nutzen.
Unsere Grundrechte besagen, der Verbraucher kann selbst bestimmen, wem er welche Daten zur Verfügung stellt. Was angesichts der laufenden Vorgänge zu einer bloßen Theorie mutiert. Daten sind pures Kapital für die Wirtschaft, indem unser Konsumverhalten beobachtet werden kann. Wir haben schon lange keine Übersicht mehr, wer an wen unsere Daten weitergibt, verkauft, auswertet und speichert. Es stellt sich die Frage, ob alles zugelassen werden darf, was möglich ist. Schaufensterpuppen zum Beispiel: Sie scannen schon einmal unbemerkt unsere Kopfbewegungen, damit die Anbieter erkennen können auf welchesKleidungsstück wir gerade ein Auge geworfen haben. Darüber hinaus gibt es unzählige Möglichkeiten, uns unbemerkt zu überwachen. Angesichts der schnell fortschreitenden Entwicklungen in der digitalen Welt sind die Datenschutzbehörden allein nicht in der Lage, dies alles zu verfolgen.
Was ist zu tun: Halm empfiehlt zunächst, selbst Datenschutz zu betreiben und datenschutzfreundliche Dienste zu nutzen. Auch die Wahrnehmung der vorhandenen Rechte spielt eine große Rolle. Auch wenn dies gelegentlich ein langwieriger Prozess ist, kann jeder Bürger dazu beitragen. Wir dürfen uns nicht mürbe machen lassen. Jeder einzelne hat das Recht auf die Unternehmen Druck hinsichtlich der Datenspeicherung auszuüben. Halm sieht darin auch eine große Aufgabe der Verbraucherverbände als Digitaler Marktwächter, welcher gegen unseriöse Unternehmen vorgeht. Hilfestellung benötigt wird von Organisationen, welche nicht von den mangelnden Datenschutzbestimmungen profitieren. Hier ist nicht nur die Politik gefragt, auch dem Verbraucherschutz kommt eine große Rolle zu. Union und FDP wehrten sich allerdings bislang gegen das Ansinnen von SPD und Grünen, die Verbraucherzentralen zu „Marktwächtern auf dem digitalen Sektor“ zu unterstützen.
Der sogenannte Radiergummi, das „Right to be forgotten“ mit dem der User seine gesammelten Daten löschen kann, kann aus technischen Gründen noch nicht umgesetzt werden. Allerdings wäre es schon ein Fortschritt, wenn die Grundeinstellungen im Netz von Haus aus als „so privat wie möglich“ und nicht „so öffentlich wie möglich“ generiert werden.
Friedrich Schiller rief im 18. Jahrhundert in seinem Drama Don Carlos in die Welt hinaus: „Sir, geben Sie uns Gedankenfreiheit“. Im 20. Jahrhundert dürfen wir nicht die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Die Ursprünge der weltumspannenden Überwachung durch die Geheimdienste gehen zurück in bis in den Zweiten Weltkrieg. Als es den Alliierten gelang, die Verschlüsselungsmaschine der Deutschen, die Enigma zu decodieren. 1952 wurde die NSA als eigenständiger Dienst gegründet mit dem Ziel, die Daten zu sammeln und zu verarbeiten. Mittlerweile hat die NSA den Status einer „No such agency“ verloren. Wir wissen um die Überwachung und dürfen es nicht zulassen. Wenn Menschen das Gefühl beschleicht, Dinge die sie tun, sprechen oder denken, sind nicht mehr ihre Privatsache, verändert das letztlich ihr Leben. Überwachung führt zu Unfreiheit, da man unbewusst sein Verhalten verändert. Dies betrifft die gesamte Gesellschaft, die diese Hemmschwelle im Kopf als ständigen Begleiter mit sich trägt. Auch man sich nichts zu Schulden kommen lässt.
Es ist noch nicht zu spät, unsere Daten zu schützen. Bedenkt man, dass viele Entwicklungen wie auch der Buchdruck anfangs verteufelt wurden, bis sie sich etablieren könnten. Wie können wir uns also in der digitalen Welt neu formieren?
Anders gestaltet werden müssen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Herunterladen, deren Pamphlet artige Länge dazu verleitet, vorschnell sein Häkchen zu setzen. Ein dreizehnjähriger liest nicht die ellenlangen Ausführungen, er kann sie teilweise gar nicht verstehen. Wenn sich zum Beispiel ein Jugendlicher eine App herunterlädt, die ihn beim sportlichen Training unterstützt und seine Daten überwacht. Dann denkt er sicher nicht, dass diese Daten in 30 Jahren von seiner Krankenversicherung genutzt werden können. In diesem Sinne forderte Marion C. Winter, Europakandidatin der Niederbayern SPD dazu auf, Datenschutz in den Lehrplan mit aufzunehmen. Viele Eltern seien mit der Aufgabe verständlicherweise völlig überfordert
Wolfgang Kreissl-Dörfler, Mitglied des Europaparlaments sieht die Notwendigkeit, dass die Durchsetzung des Datenschutzrechtes in Zukunft nicht mehr Sache des einzelnen sein darf. Die Bürger müssen besser informiert werden. Er plädiert für die angedachte zentrale Informationsstelle im europäischen Parlament für alle Bürger der EU. Darüber hinaus, erklärt er, müssen Datenschutzverstöße spürbar weh tun. Aus dem Europaparlament weiß er zu berichten: „Vor zwei Jahren blockierte noch die Bundesregierung das Datenschutzpaket in der EU. Jetzt steht das Gesetz mit Hilfe der SPD kurz vor der Umsetzung. Allerdings stehen Lobbyisten schon in Startposition, die dem Gesetz negativ gegenüberstehen und hoffen, im neuen EU-Parlament mögen nun andere Kräfte einsetzen“. Unter diesem Gesichtspunkt nimmt die Europa-Wahl auch im Datenschutz eine große Rolle ein. Es geht um die Zusammensetzung des neuen Europa-Parlaments.
Resignieren darf oder sich aus dem Internet zurückziehen kann man nicht. „Das einzige, was uns hier befreien könnte, wäre ein zweijähriger Stromausfall“, meint Kreissl-Dörfler. Ist sich jedoch sicher, dass niemand dies wolle. Die Politik ist gefragt, sich von dieser lobbyistischen Grundhaltung zu entfernen. Wie im Straßenverkehr müssen auch im Datenverkehr eindeutige Regeln festgelegt werden. Wirklich frei ist das Internet nur, wenn jeder in Augenhöhe operieren kann.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung ist ein Meilenstein für die Menschenrechte, fügte Werner Stadler, Mitglied des Bundesrates der SPÖ hinzu. Fast unvorstellbar sei es gewesen, dass dies trotz der Flut der Lobbyisten noch möglich sein könnte. Zum Datenschutzpaket des Europäischen Parlaments meinte er, man wäre fast einstimmig dabei gewesen, es auf den Weg zu bringen. Aber „Eure Angela“ konnte es geschickt verhindern. Es ist einfach unglaublich, was da im Hintergrund alles vor sich geht“.
Auf Nachfrage der Pressesprecherin der Europakandidatin Marion C. Winter, ob etwas Wahres an den Gerüchten sei, die großen Konzerne wollen sich selbst einer strengeren Datenschutzauflage unterziehen erklärte Flisek: „Die großen Unternehmen wollen sich in der Tat an europäischen Standards orientieren. Wenn der in Europa hoch ist, wird das weltweit so sein. Das ist eine Chance für Europa, die wir nutzen müssen. Diese dürfen wir nicht aus den Händen geben - wir sind tatsächlich in der Lage, den Blueprint für das Internet weltweit zu liefern.