Der irdische
Hexenkessel:
Wendelins Traum ist kein weiteres Buch über Nahtoderfahrungen und auch kein
religiöses, sondern ein sehr philosophisches Buch. Es behandelt zahlreiche
Themen des menschlichen Lebens und auch die Frage nach dem Danach.
Eine
kurze Einweisung führt den Leser an den Ort des Geschehens, in das
Krankenzimmer eines Koma-Patienten. Dann meldet sich eine Stimme aus dem
Jenseits und versucht, die imaginäre Welt der Seelen begreiflich zu machen. Sie
erzählt von den Sorgen und Nöten im vermeintlichen Paradies. Führt ein in
Diskussionen um die Frage, wie Gott sich den Menschen heute offenbaren könne,
um sie zur Räson zu bringen. Oder wer sich in Gottes Namen äußern könnte bis
hin zu Überlegungen, ob korrigierende Maßnahmen wie eine erneute Sintflut die
Lösung wäre oder eher die Erschaffung einer neuen Welt, da an dem Planeten Erde
nichts mehr herumzudoktern ist.
Sie
schildert die Suche nach den Seelen bedeutender Persönlichkeiten, die so schwer
zu finden sind wie ein ausgeliehenes Buch, da sie sich auch immer wieder auf
der Erde befinden, um dort erneut ein menschliches Dasein zu fristen. Um
schließlich zu kurzen philosophischen Unterhaltungen mit Konrad Lorenz oder
Karl Marx zu führen. Das Bild vom Aufenthalt der Seelen im Jenseits von ihrer
Läuterung und der ihm auferlegten Pflicht danach wieder in die irdische Welt
zurückzukehren, um neu erzeugtes Leben mit einem Funken Existenz zu beseelen. Bis
sie den Grad der Läuterung erreicht haben, um Teil der höchsten Intelligenz zu
werden.
Um
die Suche Wendelins auf Antworten im Jenseits zu verstehen, ist es notwendig
sein Leben auf Erden rückwirkend zu betrachten. Diese Passagen lassen die Schwere
der Thematik vergessen und genehmigen eine angenehme Phase der Entspannung,
welche in den meisten anderen Büchern zum Thema nicht gewährt wird.
Dann
wechselt der Schauplatz zu einem kleinen Buben, der sich mit der Frage wie es denn nach dem Tod weitergeht befasst
und die ihn lebenslang prägen soll. So behandelt der Inhalt auch die Frage,
wohin Menschen gehen wenn sie uns verlassen haben. Eine Frage die sich jeder
Mensch stellt, wenn er zum ersten Mal mit dem endgültigen Fortgang einer Person
aus seinem Umfeld konfrontiert wird. An dem Punkt, an dem der Mensch begreift,
dass auch sein Leben einmal zu Ende sein wird. Der Lebensweg dieses jungen
Mannes wird geschildert bis sich der Kreis schließlich schließt. Vorhersehbar
und etwas abrupt.
Das
Werk gibt aber auch auf lebehafte Weise Einblick in die Geschichte der Nachkriegszeit,
in die der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands aus unterschiedlichen
Perspektiven der Mitschüler des kleinen Jungen. So zeigt es den Lebensweg eines
einzelnen Menschen im Geflecht anderer Leben in vielen Facetten auf - bis hin
zu einer Liebesgeschichte. Es versucht die Kausalkette von Ereignissen auf
Erden zu ergründen, welche uns - wenn der Autor mit seiner Vermutung Recht hat
- auch im Seelenlabyrinth noch verfolgt: Wer sind wir, was tun wir hier, was
wird aus uns werden.
Es
ist zugleich die Geschichte der Entwicklung von Menschen, die Wendelin in
seinen Jugendjahren begleitet haben, bis deren Weg sich trennte um schließlich in
fortgeschrittenem Alter wieder zueinander zu finden. Getrennt auch durch Teilung
Deutschlands. So bietet der Schauplatz Berlin auch Spielraum für einen Einblick
in die ungewollte Entzweiung von Menschen zwischen Ost und West.
Andererseits
befasst es sich auch mit den Widersprüchen der irdischen Kirche, ihren
Doktrinen und Dogmen und ihrer Stellung heute in der Gesellschaft. In diesem
Zusammenhang handelt es sich um ein sehr in Frage stellendes, kritisches Werk.
Mit der Aussage „man muss die Kirche sehen als das, was sie wirklich ist, ein
vom Menschen zur Herstellung und Erhaltung der Macht und Einfluss geschaffene
politische Organisation“ gibt Anlass zur Diskussion.
Der Wechsel des
Erzählers von der Sichtweise einer Seele aus dem Jenseits zum Menschen im
Rückblick auf sein Leben bringt Auflockerung in die Schwere des Themas. Obwohl
es auch zum Nachdenken anregt, liest es sich insgesamt vielmehr wie ein
spannender Roman und hebt sich hiermit von anderen Büchern zu dieser Thematik
positiv ab.